Paradise Lost erschien bereits letztes Jahr für den PC und feierte am 24.03.21 sein Debüt auf der Konsole. Es ist für 14.99€ im Playstation Network zu haben.
Zum Testen wurde uns freundlicherweise ein Playstation 4 Key zur Verfügung gestellt.
Leugnen
Erstlingswerke kleinerer Indie-Studios sind häufig etwas krude. Es fehlt an Know-how, das Team ist zwar im Idealfall enthusiastisch, dafür meist noch nicht aufeinander eingespielt. Es gibt viele kreative Ideen und große Pläne, letzten Endes fällt es aber oft schwer, diese großen Vorhaben zu einem kohärenten Gesamtpaket zusammenzuschnüren. Nach dem Trailer war meine Hoffnung, dass sich hinter der recht spröden Präsentation und den etwas plumpen Dialogen eine charmante Geschichte über originelle Charaktere in einem abenteuerlichen Setting verbirgt. Zum Glück war diese Hoffnung nicht besonders ausgeprägt — ich wäre enttäuscht worden. Dank des Trailers konnte ich mir aber immerhin, noch bevor ich das Spiel gestartet hatte, bereits den finalen Twist zusammenreimen.
Die Rahmenbedingungen für ein spannendes Setting und eine aufregende Geschichte sind erstmal durchaus vorhanden. Wir beginnen mit einer alternativen Geschichtsstunde: In der Welt von Paradise Lost reichte der Zweite Weltkrieg bis in die frühen 60er hinein und führte in seinem Verlauf zur atomaren Zerstörung der Erdoberfläche, die fortan im nuklearen Winter versank. In den 50ern bauten die Nazis, um der absehbaren Katastrophe zuvorzukommen, einen gewaltigen Bunkerkomplex irgendwo unter Polen. Und in eben diesem Bunker beginnen wir, in den Schuhen des jungen Szymon, unsere Reise auf der Suche nach Abenteuer und eventuell Antworten auf unsere eigene Vergangenheit.
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Die ersten paar Schritte in die Bunkeranlage hinein sind durchaus spannend inszeniert. Im schwachen Schein unseres Feuerzeugs tasten wir uns vorsichtig durch stockdunkle Flure. Dabei unterbricht das Spiel ab und zu für kurze Flashbacks, die uns eine vage Vorstellung unserer Hintergrundgeschichte geben. Nach ein paar Minuten in der Finsternis öffnet sich vor uns schließlich die Bunkeranlage in einer gewaltigen Halle. Der Strom fließt noch und nachdem wir die Lichter eingeschaltet haben, können wir fortan auf unser Feuerzeug verzichten.
Stilistisch bewegt sich der Bunker zwischen treffendem Nazi-Prunk und -Protz und beiläufiger Willkür. Wir spazieren gemächlich durch einen unterirdischen Rangierbahnhof und eine angeschlossene Zollstelle — Ordnung muss schließlich sein, auch im Angesicht der drohenden, bzw. vorangegangenen Apokalypse. Dabei finden wir, genretypisch, an allen Ecken und Enden Notizen, Tagebucheinträge, Briefe, Retro-futuristische Computerterminals, Tonbandaufnahmen und andere Dokumente jedweder Art. Paradise Lost ist schließlich ein reinrassiger Walking-Simulator. An einigen Stellen bekommt man dann durchaus das Gefühl, eine ehemals lebendige, manchmal tragische, manchmal abscheuliche Untergrundwelt zu durchstreifen. Zum Beispiel wenn sich kleinere Lebensgeschichten von Bunkerbewohnern über mehrere Briefe und Notizen von der Ankunft im Bunker bis zu ihren Unterkünften nachvollziehen lassen oder die drakonische Struktur und perverse Ideologie der Organisatoren in Anweisungen, Verordnungen und Listen abgebildet werden. In diesen Momenten bekommt man einen Eindruck von dem Arbeitsaufwand, der in dieses kleine Großprojekt geflossen ist.
Zorn
An anderen Stellen wirken Hinterlassenschaften dann aber eher zusammenhangslos platziert — vielleicht damit man sie nicht übersieht — oder werden bedeutungslose Räume wahllos mit Objekten befüllt. Dass Texte überwiegend nach alter Rechtschreibung übersetzt wurden, ist dabei zwar etwas gewöhnungsbedürftig, verleiht der Welt aber durchaus eine charmante Note.
Hinter der Zollstation machen wir dann auch Bekanntschaft mit der anderen Hauptfigur des Spiels, Ewa, oder besser gesagt mit ihrer Stimme. Die junge Frau hat sich scheinbar in dem riesigen Bunker verlaufen und steckt nun in einem der Kontrollräume fest. Über das Kommunikationsnetz der Anlage geloben wir Hilfe zu leisten und haben endlich, neben etwas Gesellschaft, auch eine konkretere Aufgabe.
Mehr Zorn
Die Probleme von Paradise Lost fangen hier nicht erst an, sie scheinen aber mit der Zeit mehr und mehr durch. Als erstes fällt das Spieltempo auf. Genrevertreter dürfen natürlich gerne etwas gemächlicher ablaufen. Unser guter Szymon wirkt in seinen jungen Jahren aber bereits schwer arthritisch, so behäbig wie er vor sich hin schleicht. Vor allem kleinere Rückwege um Versäumtes nachzuholen, geraten so im Verlauf des Spiels zur Geduldsprobe.
Die Dialoge zwischen den Protagonisten, die zwar durchaus bemüht vertont wurden, fallen durch deplatzierte polnische Akzente auf. Schließlich scheinen hier zwei polnische Muttersprachler, teilweise sogar auf polnisch, miteinander zu kommunizieren. So wirkt es, als würden beide völlig grundlos in einer Fremdsprache miteinander reden. Ein ähnliches Problem gibt es bei der Entfaltung der Hintergrundgeschichte. Hier haben in den 60ern polnische Widerstandskämpfer den scheinbar kaum verteidigten Bunker erobert und übernommen. Auch diese Widerstandskämpfer schreiben auf Deutsch und nach alter Rechtschreibung. Dafür sparen sie sich die Akzente in ihren Tonbandaufnahmen. Eine deutsche Vertonung gibt es nicht. Wer des Polnischen mächtig ist kann das Spiel aber in seiner Originalvertonung spielen.
Depression
Die größten Probleme hat Paradise Lost aber nicht in der unausgewogenen, teilweise dissonanten Präsentation, sondern ganz eindeutig in seiner Geschichte und mit seinen Charakteren. Das Spiel ist dramaturgisch in die Kübler-Ross-Phasen der Trauerbewältigung aufgeteilt — das geben zumindest die Kapitelüberschriften vor. Motive dieser Überschriften lassen sich aber nur in der Hintergrundgeschichte identifizieren, nicht in der Charakterisierung unseres Protagonisten Szymon, der ja eigentlich hier zu sein scheint, um den Tod seiner Mutter aufzuarbeiten. Szymon bleibt bis zum Ende größtenteils unbeeindruckt von den Dingen, die mit ihm und um ihn herum in dieser ehemaligen Nazianlage passieren. Dabei hilft es auch nicht, dass wir ab und zu in Dialogen mit unserer entfernten Begleiterin aus den Lautsprecheranlagen Antwortmöglichkeiten auswählen können. Zumindest falls der Spieler schnell genug ist innerhalb eines bemerkenswert kurzen Zeitfensters diese Auswahl zu treffen, bevor das Spiel uns die Entscheidung doch wieder abnimmt oder wir einen ungeduldigen Kommentar ernten. Für ein so behäbiges Spiel geradezu unverschämt.
Weniger eine Unverschämtheit aber zumindest wenig originell und weniger interessant ist die Hintergrundgeschichte, die den eigentlichen, narrativen Rahmen von Paradise Lost bildet und die ich an dieser Stelle zumindest ein Stück weit spoilern werde. Leser, die nach meiner bisherigen Kritik noch nicht abgeschreckt wurden, können gerne einen Absatz überspringen.
Und noch etwas Depression mit einem Hauch von Zorn
Nachdem die polnischen Widerstandskämpfer die Nazis in kürzester Zeit aus dem Bunker beseitigt hatten, entwickelten sich innerhalb der neuen Einwohnerschaft die klassischen, dystopischen Parallelgesellschaften aus der Sci-Fi Klischeekiste. Ein theistischer Kult, der sich lose an diversen Mythen und Götterfiguren orientiert, bekämpft eine logische, wissenschaftliche Fraktion.
Erlöserfiguren, Motive von Unsterblichkeit und Wiederauferstehung und allerlei verschwurbelte Träumereien über diese und jede beliebige andere Welt werden dabei geradezu wahllos miteinander in einen Topf geworfen. Einiges davon soll zwar die Hintergründe der Protagonisten ausleuchten, zur Halbzeitmarke nach etwa zwei Stunden hat Paradise Lost aber gefühlt jeden Faden verloren und die Dissonanz zwischen den Erzählebenen lässt sich kaum noch überbrücken. Vielleicht war das Problem aber auch meine Aufmerksamkeitsspanne, die das dröge Einerlei nicht mehr vollends aufnehmen und verarbeiten wollte. Vielleicht war es aber auch das nicht ins Spiel geladene Fotoalbum, welches scheinbar unseren Protagonisten in die Hintergrundgeschichte hätte einbinden sollen. Stattdessen bekam ich wild durch die Luft blätternde Hände, ein wenig gespielte Verwirrung oder Entsetzen aus dem Off und den starken Eindruck, dass das Spiel sich nicht um seine Geschichte schert.
Akzeptanz
Im Herzen dieses Spiels steckt möglicherweise eine emotionale Geschichte, so wie PolyAmorous Games sie sich auf die Fahne geschrieben hat. Leider gehen diese leisen Töne in einem Rauschen von Belanglosigkeit unter. Die tragische Reise durch ein vermeintlich interessantes Setting macht dabei durchaus stellenweise zornig, manchmal vielleicht sogar depressiv, aber ich wage zu bezweifeln, dass dies die intendierte Wirkung des polnischen Indie-Studios war.
Die große Stärke, das Alleinstellungsmerkmal des Spiels, sollte der Schauplatz, der gewaltige, fast lächerlich ausufernde Nazi-Bunker sein. Leider wird dieser zu selten mit Persönlichkeit gefüllt um seiner Aufgabe gerecht zu werden. Vereinzelt eingestreute Momente, welche die düstere Vergangenheit spürbar werden lassen, zeigen was möglich gewesen wäre. Diese Momente werden allerdings durch die gestelte Hintergrundgeschichte, die in jedem anderen Science-Fiction-Setting genau so hätte stattfinden können (und auch schon oft genug so stattgefunden hat), schnell wieder demontiert.
Zudem wirken der Protagonist und seine Begleitung aus den Lautsprechern der Bunkeranlage zu unbeteiligt und ziellos. Erst kurz vor Schluss entsteht der Eindruck, die Charaktere hätten eine persönliche Motivation, ein Ziel, welches über die bloße Erkundung eines Abenteuerspielplatzes hinausgeht. An diesem Punkt wollte ich aber einfach nur noch eines der alternativen Enden sehen, die man sich anhand von ein paar finalen Entscheidungen in den letzten Momenten des Spiels selbst zusammenbasteln darf.